Eine Außenbetrachtung zur Zukunft der Europäischen Union

Geschrieben von ProBürger am in Politik Allgemein

Vorbemerkung

Auf „wirtschaftlichefreiheit.de“ werden die EU, ihre Währungs- und Ordnungspolitik immer wieder kommentiert. Es ist richtig, dass wir uns aus deutscher Binnen-Sicht mit diesen für uns zentralen Themen befassen. Eine „Außenansicht“ ist aber in solchen supra-nationalen Fragen lehrreich. Auf der populären libertären amerikanischen Website „Library of Economics and Liberty“, die von der Amerikanischen Stiftung „Liberty Fund“ betrieben wird, gibt es seit etwa zehn Jahren eine Kolumne „Reflections from Europe“, in der einer der führenden libertären Denker der Gegenwart, Anthony de Jasay, die Verwirrungen europäischer Politik mit scharfen Analysen und häufig resignierter Ironie bedenkt (siehe hier).

In seinem aktuellen Beitrag für „The Library of Economics and Liberty“, den wir hier übersetzt vorlegen, um unter anderem unsere Leser auch auf diese zu „wirtschaftlichefreiheit.de“ parallele „Website“ aufmerksam zu machen, argumentiert Jasay, dass schwer miteinander vereinbare deutsche, französische und britische Vorstellungen von Europa, die EU zu zerreißen drohen. Das wahrscheinlichste Resultat der europäischen politischen Dreiecksbeziehung wird es sein, dass die Union mehr schlecht als recht fort-bestehen wird. (Zum Autor: Anthony de Jasay ist gebürtiger Ungar. Nach einer Zeit als Lecturer of „Economics“ in Oxford und Tätigkeit im privaten französischen Finanzsektor lebt er als britischer Staatsbürger heute in der Normandie, wo er weiterhin seinen mannigfachen intellektuellen Interessen als Kommentator und Buchautor nachgeht. Verfasser von u.a., „The State“, Oxford 1985, „Social Contract, Free Ride“, Oxford 1989.)

Sarah-Lea Effert und Hartmut Kliemt

 

Europas „flotter Dreier“

Der Keim eines formal vereinten Europas wurde zu Beginn des zweiten Weltkrieges, durch die schmähliche französische Kapitulation vor Deutschland, gelegt. Am Ende dieses Krieges wurde Frankreich durch Anglo-Amerikanische Kräfte befreit, was das Land in seinem tiefsten Innern den Befreiern niemals verzieh. Amerika wurde als fortwährendes Objekt der Abneigung dem Erbfeind England hinzugefügt. Die instinktive Feindseligkeit gegenüber den „Angelsachsen“ und dem durch diese verkörperten freien Handel in der kapitalistischen Ordnung, verstärkte das Gefühl nationaler Panik, welches ohnehin mit dem Verlust des Großmacht-Statuts, des Ansehens und des Einflusses sowie der düsteren Aussicht auf eine zweitklassige Zukunft in einer gänzlich fremdartigen Nachkriegswelt einherging.

De Gaulle und die Folgen

De Gaulle, als Großmeister des Bluffs und der kühnen Drohgebärde, spielte mit seinem Konfrontationskurs erfolgreich auf der Klaviatur der Existenzangst der Franzosen und der Geduld der angelsächsischen Sieger, um für Frankreich jenen Großmacht-Status und jenes Selbstvertrauen zu reklamieren,  das eigentlich nur Kriegsgewinnern zusteht.  Da das Ganze jedoch nur auf Selbstüberhebung, Rhetorik und gelegentlichen Wutanfällen beruhte, blieb Frankreichs Nachkriegs-Position prekär. Frankreich blieb sich damit treu. Es überreizte zur Durchsetzung seiner Ambitionen so wie stets in seiner Geschichte – man denke nur an die beiden sogenannten hundertjährigen Kriege des 15. und 18. Jahrhunderts, in denen das Land ausblutete – sein Blatt. De Gaulles‘ Haltung nach dem zweiten Weltkrieg sah gefährlich wie die ewige französische Neigung aus, die schlechten Karten, mit der die Geschichte das Land bedacht hatte, überzustrapazieren. Weise Köpfe mit Jean Monnet und Robert Schuman an der Spitze, sahen aber den Ansatz einer realistischeren Alternative: einen formal organisierten europäischen Quasi-Staat unter, für sie zwangsläufig feststehender, französischer Führung. Sie und viele Verbündete, darunter der Belgier Paul-Henri Spaak und der Italiener Alcide de Gasperi, von denen keiner nachweislich französischer Agent war, machten sich daran, ein Gebilde zu entwickeln, mit dem erklärten Zweck einer „immer engeren Union.“  Was mit sechs Nationen begann, zählt 60 Jahre später 27 und demnächst vermutlich mehr.

Die ersten vierzig Jahre diese Projekts, von den frühen 50ern bis zu den frühen 90ern, wurden von zwei Hauptfaktoren geprägt. Zum einen zeigten die. aufgrund ihrer Kriegstaten bußfertigen, Deutschen politisch niedriges Profil. Sie widmeten sich voll und ganz ihrem „Wirtschaftswunder“, das ihre wirtschaftliche Vorkriegsstärke wiederherstellte und sogar übertraf.  Der zweite prägende Faktor waren die überlegenen administrativen Fähigkeiten und die rücksichtslose Entschlossenheit der hohen französischen Beamten, die überwiegende Teile der bürokratischen Maschinerie der Quasi-Regierung des heranwachsenden europäischen Quasi-Staates bedienten. Das sanftmütige deutsche Arbeitspferd wurde gleichsam von einem selbstgewissen Mandarin des französischen Verwaltungslabyrinths geritten.

Diese Periode wurde von zwei herausragenden Präsidenten der Brüsseler Maschinerie geprägt: von 1958 bis 1967 von dem skrupulös unparteiischen Walter Hallstein und von 1985 bis 1994 von Jacques Delors, einer fähigen und rücksichtslosen sozialistischen Dampfwalze, die, bewundert in Frankreich und verabscheut in England, Frankreichs Interessen diente – wiewohl zu effektiv zu Frankreichs eigenem Wohl und der Reputation des Landes eher abträglich. Die Hallstein’sche Era war das goldene Zeitalter des gemeinsamen Marktes, die Era Delors’ die ausufernder Bürokratie und schließlich des absurd ambitionierten, nicht durchsetzbaren Vertrags von Maastricht, der das europäische Projekt seiner Seriosität und Glaubwürdigkeit beraubte.

Bis zur deutschen Wiedervereinigung stand das europäische Projekt klar unter französischer Führung. Deutschland, passiv und geduldig, verlieh schlicht den Wünschen Frankreichs Nachdruck. Nach der Wiedervereinigung dann entwickelte Deutschland eine unabhängige Außenpolitik. Gleichzeitig verlor die Bürokratie von Brüssel allmählich ihren gänzlich französischen Charakter. In vielen Top-Ämtern ersetzten englische, deutsche, spanische und andere Beamte die Franzosen, Englisch verdrängte Französisch als inoffizielle Amtssprache. All dies alarmierte Paris. Wie vom Pfeifen im Dunkeln wurde dies davon begleitet, dass die politische Klasse Frankreichs ihr Mantra vertrat: Frankreich und Deutschland seien wie ein Ehepaar, das stets eine gemeinsame Position gegenüber dem Rest Europas einnehme, um den Kontinent gleichberechtigt und partnerschaftlich zu regieren.

Die Vorstellung einer Deutsch-Französischen Partnerschaft, einer Achse zwischen Paris und Berlin, um die sich alles drehte, wurde von 2005 an zunehmend zur Fiktion. Der immer offensichtlicher werdende wirtschaftliche Niedergang Frankreichs, der die in starken wie schwachen Perioden grundsolide Wirtschaftsleistung Deutschlands begleitete, hat der Unterstellung gleichberechtigter Partnerschaft jegliche Plausibilität entzogen. Die Zweisamkeit der Vorherrschaft von Berlin und Paris ist vorüber. Sie wurde ersetzt durch ein komplizierteres Dreiecksverhältnis aus Berlin, London und Paris. In ihm ist jeder an die beiden anderen gekettet. Jeder entfernt sich von dem einen, wenn er sich zum anderen beugt, das Gleichgewicht mit jeder Bewegung verändernd. Deutschland besetzt dabei den weiten, Großbritannien und Frankreich die spitzen Winkel dieses stumpfen Dreiecks.

Deutschland und der Europäische Bundesstaat

Die Mehrheitsmeinung in Deutschland favorisiert aufrichtig die “immer engere Union”, die bundesstaatliche Variante eines vereinten Europas. Weil die bundesstaatliche Lösung einen Deutsch-Französischen Krieg zumindest für die nächsten zwei oder drei Generationen äußerst unwahrscheinlich werden lässt, wird sie als allen Alternativen überlegen empfunden. Kein verstecktes oder unbewusstes anderweitiges Motiv ist erkennbar, kein Kalkül, dass eine bundesstaatliche (im Gegensatz zu einer Staatenbund-) Lösung es Deutschland in der Führungsrolle erlauben würde, die anderen auszubeuten.

Bundesstaatlicher Föderalismus würde es im Gegenzug aber auch schwer für andere machen, Deutschland auszubeuten. Im Moment verlangen hoch verschuldete Länder die Bildung von Eurobonds, um ohne Einschränkung ihrer Souveränität ihre Defizite zu Zinsen finanzieren zu können, die aufgrund deutscher Garantien deutlich unter dem Niveau liegen, das sie aufgrund der eigenen beschränkten Kreditwürdigkeit erlangen könnten. Würden Besteuerung sowie Ausgabe– und Finanzierungsbefugnisse bundesstaatlich gebündelt, so wäre Deutschland von der dauernden Forderung nach mehr “Solidarität” befreit.

Frankreich will beides

Eine “immer engere Union” bedeutet für Frankreich, die von ihm aus tiefstem Herzen ersehnte Errichtung einer Festung Europa, die sich gegen alle Außenstehenden, insbesondere gegen Amerika, abschließt, um die europäische Industrie und Landwirtschaft vor den Verwüstungen des freien Handels durch den kapitalistischen Liberalismus zu beschützen. Ein dem bestehenden französischen entsprechendes „soziales Modell“, ist von allen Mitgliedsländern zu übernehmen und auf deren Kosten zu verteidigen. Es geht darum, den langen Arm des Staates zu stärken und ihm einen allgegenwärtigen Zugriff auf alle Felder menschlicher Tätigkeit zu ermöglichen, sodass ein komplettes System von Regeln und Regulierungen entsteht, das keine Lücken und wenig freie Wahl lässt. In dem angestrebten System ist alles entweder legal oder illegal, gibt es gesetzliche Regeln für Arbeits-,  Beschäftigungs-,   Ladenöffnungszeiten sowie ein sorgfältig reguliertes und verpflichtendes Schulsystem. Kurz gesagt, eine zentralstaatliche Bürokratie wird unermüdlich nach Möglichkeiten suchen, die Menschen mit dem zu beglücken, was die Bürokraten für eine gute Idee halten.

Die Installierung einer für Europas Größe und soziale Gerechtigkeit wirkenden idealen Autorität, darf jedoch keinesfalls die Souveränität der Nationalstaaten und schon gar nicht die des spirituellen Leiters der Union, Frankreichs, einschränken. “Europäische Werte” meint in Wahrheit die Werte des französischen Republikanismus. Es gibt keine französischen Interessen, die nicht allein dadurch, per se schon Interessen Europas wären.

In ihrer abstrakten Forderung nach mehr europäischer Integration gehen französische Politiker des rechten wie linken Lagers stillschweigend davon aus, dass die französische Unabhängigkeit, einschließlich der souveränen Macht, Steuern zu erheben und zu verwenden, nicht geopfert werden wird. Allenfalls werden Absprachen über nationale Haushaltspläne zugestanden, sofern gesichert ist, dass deren Verletzung im schlimmsten Fall nur erhobene Zeigefinger und Forderungen nach sich zieht, das nächste Mal stärker an das Wohl der Gemeinschaft zu denken. In Wirklichkeit jedoch wird kein französischer Politiker und wahrscheinlich auch sonst keiner, die Wählerstimmen bringende Macht, Steuern und Ausgaben frei manipulieren zu können, aufgeben.

Nach alledem wollen die Franzosen Europa und wollen es doch nicht. In ihrer Vorstellung handelt es sich um eine gewaltige Nachbildung des französischen Staates, die Franzosen wie Nicht-Franzosen immer größeres Ansehen und soziale Gerechtigkeit verspricht, ein Modell „intelligenter Großzügigkeit“.

Nüchternes Großbritannien

Zu der Zeit als de Gaulles‘ Blockade eines britischen Beitritts beseitigt war und Großbritannien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitrat, schien dieser Schritt fraglos richtig zu sein. Die europäische Wirtschaft machte einen dynamischen und attraktiven Eindruck. Obwohl die gemeinsame Agrarpolitik ein nur schwer zu schluckender, harter Brocken war und die kontinentaleuropäische Tendenz zu kleinlichen Regulierungen und Wichtigtuerei gewisse Sorgen bereitete, schien es alles in allem klüger, „Europa beizutreten“,als außen vor zu bleiben.

Vierzig Jahr später ist vieles, wenn nicht gar alles, schief gegangen. Europas wirtschaftliche Dynamik versiegte, wenn auch nicht aus diesem Grunde, als Großbritannien der damaligen EWG beitrat, die Wichtigtuerei intensivierte sich, Frankreich tat sich mit Deutschland gegen Großbritannien in der gemeinsamen Agrarpolitik und anderen untergeordneten Angelegenheiten zusammen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sorgte für große Irritation, als er meinte, ausgerechnet das Land belehren zu dürfen, das mit einigem Stolz auf seine ein halbes Jahrtausend zurückreichende Vorreiterrolle in der Durchsetzung der Rechtstaatlichkeit zurückblickte; wobei die Öffentlichkeit übersah, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs mit dem Abschluss der EU Verträge selbst eingewilligt hatte, dass Menschenrechtsrichter Urteile Britischer Gerichte außer Kraft setzen konnten und sollten.

Darf man den Umfragen Glauben schenken, so würde eine klare Mehrheit der Briten jetzt die EU verlassen, würden sie denn vor die Wahl gestellt. Dafür führt man verschiedenste Gründe an, unter anderem auch das herabsetzende Verhalten des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte. Am Ende ist aber entscheidend, dass die EU, für den mit gesundem Menschenverstand ausgestatteten, nüchternen Engländer, jeglichen Anspruch auf Glaubwürdigkeit verloren hat, als sie sich, kaum entschuldbar in der Hoffnung, eine Wachstumsmaschine zu bauen, vollständig in der selbst errichteten Falle des Euros verfing. Davon, dass man der Wirtschaft den Euro überstülpte, gingen keine erkennbaren Wachstumsimpulse aus. Sie geriet vielmehr in einen furchterregenden und kostspieligen Schlamassel, seit mit Griechenland das erste Land der Eurozone in Zahlungsschwierigkeiten geriet und vor der Zahlungsunfähigkeit „gerettet“  werden muss. Es heißt, Griechenland nicht zu retten, wäre eine tödliche Gefahr für den Euro, wenn nicht sogar sein sicherer Untergang. Die nüchternen Engländer haben die Nase voll von einer Wirtschaftsgemeinschaft, die aus Angst vor realen und imaginären Gefahren, hunderte Milliarden an gutem Geld schlechtem hinterherwirft, um damit drei Prozent der Gemeinschaft – den Anteil Griechenlands am BIP der Eurozone – davor zu schützen, getrennte Wege zu gehen.  Ein Großteil von John Bulls naiver Verachtung für die Brüsseler Denkfabrik, die der Europäischen Öffentlichkeit den Euro andrehte, ist unangebracht, denn Großbritannien ist schon lange nicht mehr unter Druck, den Euro einzuführen. Es konnte in der EU bleiben, während es außerhalb der Eurozone blieb. Nichtsdestotrotz hat der Begriff “Europa” all seinen Glanz für Großbritannien verloren. Es ist nur den Wunsch geblieben, so wie die Nichtmitgliedsstaaten Schweiz und Norwegen weiterhin Zugang zum europäischen Markt zu haben. Und es wäre nicht im Interesse der EU, diesen Zugang zu verwehren.

Schlussbemerkung

Falls die gegenwärtige Regierung des Vereinten Königreichs die 2015 anstehenden Wahlen überlebt, wird sie verpflichtet sein, 2017 ein Referendum über die Mitgliedsschaft in der EU anzuberaumen. Nach heutigem Stand würde die „Austritts“-Option gewinnen. In der Zwischenzeit jedoch wird das Dreieck der wichtigsten EU Länder seine Wirkungen entfalten. London wird über eine Befreiung von einigen EU Beschränkungen verhandeln und auch über ein allgemein liberaleres, mehr „angelsächsisches“ Regulationssystem. Berlin hat wenig Lust, allein mit Frankreich übrig zu bleiben und vielleicht würde auch Frankreich das Gleichgewichtspotential einer drei-Personen-Konstellation vorziehen, anstatt Berlin allein gegenüber treten zu müssen. Die Hoffnungen ruhen auf London, in den Verhandlungen genug zu erreichen, damit sich die Verbleiboption 2017 durchsetzt – vorausgesetzt, das Referendum wird überhaupt abgehalten. Wie üblich in gewichtigen internationalen Angelegenheiten, wird man weiter wursteln. Nüchtern betrachtet, darf man kaum mehr verlangen.

Literatur

Jasay, Anthony de (2010): Political Economy, Concisely. Indianapolis: Liberty Fund, 2010

Jasay, Anthony de (2010): Political Philosophy, Clearly. Indianapolis: Liberty Fund, 2010.

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